Venedig (fast) ohne Touristen

Venedig (fast) ohne Touristen

Venedig – Massentourismus, kennen wir doch. Aber Venedig ist viel zu schön und viel zu groß, um vereinnahmt zu werden. Hier sollen Touren vorgestellt werden, auf denen man den Touristenmassen ausweichen kann und das Venedig der Venezianer erleben kann. Der Trick dabei ist die Tageszeit – frühmorgens oder abends – und natürlich, das richtige Stadtviertel zu wählen. Dann findet man das Venedig (fast) ohne Touristen.

Frühstück „like a local“ und Morgenspaziergang (1) – Campo Santo Stefano, mit der Gondel fahren, Campo San Polo, Campo Giacomo da l’Orio

Die Tour beschreibt einen Weg durch das Zentrum mit kleinen Kanälen, Brücken, schönen Ecken und Perspektiven. Zentrum? Ja. Um Venedig (fast) ohne Touristen genießen zu können, ist allerdings frühes Aufstehen angesagt. Damit es auch etwas zu Sehen und zu Erleben gibt, startet die Tour am Campo Santo Stefano. Dort kann man die Stadt der Einheimischen sehen, danach nutzt man eine Gondel als Fähre über den Kanal und der Spaziergang führt zur Frari-Kirche – einem echten Highlight. Der Spaziergang endet am Campo Giacomo da l’Orio. Die nächsten Halte der Vaporetti in der Nähe des Startpunktes Campo Santo Stefano sind Accademia und Giglio.

Campo Santo Stefano im Morgennebel

Wenn man mit den Schulkindern aufsteht und sich ins Café setzt, kann man die erwachende Stadt erleben. Die Kinder eilen mit Ihren Schulranzen-Trolleys zur Haltestelle der Vaporetti, die Lieferanten bringen mit Sackkarren schwitzend Lebensmittel und Getränke für die Restaurants und Waren für die Geschäfte. Büroleute versuchen, mit Ihren schönen Schuhen elegant, schnell und unfallfrei über das grobe Pflaster zu kommen. Andere genehmigen sich erst einmal ein cornetto und einen caffé in der Bar. Auf den Kanälen fahren die Lieferkähne und die Müllabfuhr.

Bar Redentore

Wo kann man den Tag beginnen? Im Le Café mit den vielen, am frühen Morgen noch leeren Tischen auf dem Campo Santo Stefano (ab 8:00 Uhr). Hier kann man zur Eingewöhnung ein etwas größeres Frühstück und die Leere von Café und Platz genießen. Wer eine kleine Bar mit ein paar Tischen an einem Kanal vorzieht und mit caffé, cornetto und spremuta zufrieden ist, wählt die Bar Redentore um die Ecke (San Marco 2617, offiziell ab 8:00 Uhr, tatsächlich aber früher).

Für unseren ersten Spaziergang nutzen wir die frühe Tageszeit, um durch bei Touristen beliebtere Sestiere zu gehen. Neben der Kirche Santo Stefano geht es in die Calle de le Botteghe, an der nächsten Ecke rechts und gleich links in die Piscina San Samuele. Wer sich noch etwas Kanal-Romantik ansehen möchte, folgt dem Knick der Piscina San Samuele nach rechts und geht über die Brücken und Stege. Weiter geht es aber wieder zurück zum Knick und dann in die Calle del Traghetto O Ca‘ Gàrzon bis zum Canale Grande mit viel Venedig-Flair in den engen Gassen. Von dort geht es mit einer Gondelfähre für 2 EUR auf die andere Kanalseite (ab 7:30 Uhr). Ein Erlebnis und die günstigste Art, Gondel zu fahren.

Rio di Ca‘ Gàrzoni

Am anderen Ufer geht es erst einmal entlang des Rio San Toma, die Straße heißt immer noch Calle del Traghetto O Ca‘ Gàrzon. Ihr folgen wir an der Brücke nach links weiter. Wir stoßen an die Calle del Campanile und sehen schon den Campo San Tomà.

Ein kleiner, beschaulicher Platz mit Bar und ein paar Sitzplätzen draußen. Was gibt es noch: die kleine Kirche San Tomà aus dem 10. Jahrhundert, mehrfach umgebaut, mit Fassade aus dem 17. Jahrh. und die Scuola dei Calegheri (Gilde der Schuhmacher und Flickschuster). Über dem Eingang (im Obergeschoss ist eine öffentliche Bibliothek mit Fresken aus dem 15. Jahrh.) sieht man den Evangelist Markus, wie er in Alexandria den Flickschuster Anianus (in orientalischer Kleidung) heilt und bekehrt. Anianus soll später Bischof von Alexandria gewesen sein und wurde heilig gesprochen. So kamen die Schuster zu Ihrem Schutzpatron.

Piazza San Tomà
Markus und Anianus

Weiter geht’s an der Kirche vorbei zur Calle dei Volti. Dort entlang bis zur Calle Corli und rechts-links weiter zum Campo Frari. Wenn es schon 9:00 Uhr ist, lohnt sich eine Besichtigung der Frari-Kirche.

Kirchen, auch wenn es im Zentrum 90 davon gibt, sind aus der Mode. Abgesehen vom Markusdom, verirrt sich kaum mehr ein Tourist dorthin. Wer sich trotzdem eine besondere Kirche ansehen will: Santa Maria Gloriosa dei Frari (Öffnungszeiten meisten zwischen 9:00 und 18:00 Uhr, besser aber auf der Webseite prüfen).

Hier hängt die Madonna aus dem Hause Pesaro von Tizian (vollendet 1526). Ein Meilenstein der westeuropäischen Malerei und ein Bild mit einer Fülle von Bezügen. Stifter waren Jacopo de Pesaro, Bischof von Paphos auf Zypern und seine Brüder, Promis aus Venedig, die auch ziemlich unübersehbar unten im Bild knien. Hier ist auch gleich die erste Werbeeinblendung. Ein Fahnenträger bringt einen gefangenen Türken und weist damit dezent darauf hin, dass der Bischof als Flottenkommandant von Papst Alexander VI. 1502, während des Kreuzzuges, die Türken besiegt hat.

Die Madonna des Hauses Pesaro

Der Junge der neugierig aus dem Bild herausschaut, ist Lunardo Pesaro. Er war als Alleinerbe vorgesehen, für die Weiterführung der Geschäfte und auch für die Altarstiftung. Ohne Familiengemeinschaft ging damals nichts. Die Bedeutung der Familienmitglieder ergibt sich aus deren Größe im Bild und der Höhe der Anordnung der Köpfe. Punkt für den Bischof.

Nun wird’s heilig. Petrus, Franziskus und Antonius (etwas verdeckt rechts neben Franziskus) stehen auf den Stufen des Thrones. Deren Job ist es, die Familie Pesaro dem Christuskind und der Madonna zu empfehlen.

Wer genauer hinschaut sieht noch Hinweise auf das Schicksal des Christuskinds: Engel richten in den Wolken Kreuze auf, die Madonna weist auf die späteren Wundmale hin und auch Franziskus zeigt seine Stigmata. Soviel Bedeutung musste sein.

Und wo ist nun der Meilenstein? In der asymmetrischen Bildgestaltung. Maria und das Kind thronen nicht in der Bildmitte sondern an der Seite. Das war damals neu. Untersuchungen des Bildes zeigen, dass Tizian mit einem symmetrischen Bild begonnen hatte und erst im Laufe der Arbeit an dem Bild die neue Aufteilung gewählt hat.

Politisch ist das Bild heute nicht mehr korrekt. Zur Zeit der Entstehung des Bildes war Papst Leo X. am Ruder. Der fand Kreuzzüge gut und notwendig. Die Franziskaner fanden Kreuzzüge auch gut. Und ihnen gehörte die Kirche. Einmal war der Chef der Kirche formal für die Ordensprovinz im Heiligen Land zuständig. Also ein Grund für den Kreuzzug. Wichtiger war aber, dass es bei den Franziskanern zwei Fraktionen, die eher rückwärtsgewandten „Konventualen“ und die erfolgreicheren Reformfreudigen gab. Und die Franziskaner der Frari-Kirche waren Konventuale.
Ihre Begeisterung für den Kreuzzug sollte also den Papst günstig stimmen und sie aus der drohenden Bedeutungslosigkeit retten. Wer zahlt schafft an, also war ein Hinweis auf den Kreuzzug gebongt. Zur Sicherheit war auch noch Petrus auf dem Bild.

Den Franziskanern hat die Unterstützung der Kreuzzüge nicht geschadet. Lange nachdem die Kreuzritter vertrieben waren, erhielten sie vom ägytischen Sultan, die Erlaubnis, sich in Palästina anzusiedeln. Sie sind seitdem die Kustodes des Heiligen Landes und betreuuen u.a. die Grabeskirche, die Geburtskirche und eine Reihe anderer heiliger Stätten.

Die Pesaro waren streng papsttreu. Sie hatten ihr Geld im Wesentlichen mit der Trinkwasserversorgung von Venedig gemacht. Bei Fusina (heute parken hier Autos) gehörte ihnen eine Hebebühne („Carro“), mit der Boote über den Damm der Brenta (der heute nicht mehr existiert) in die Lagune gehievt wurden. Und die gesamte Trinkwasserversorgung musste hier durch. Die Emporkömmlinge wurden daher „del Carro“ genannt.

Venedig fand den Kreuzzug im Übrigen nicht gut. Und auch nicht die Papsttreue der Pesaro. Bei Ratsversammlungen, in denen es um das Verhältnis zum Papst ging, durfte Pesaro nicht teilnehmen.

Die Madonna des Hauses Pesaro erzählt also eine ganze Menge über die politische Situation seiner Entstehungszeit.

Von Tizian gibt es noch die Mariä Himmelfahrt – und sein Grabmal. Die Himmelfahrt, vor dem Madonnengemälde fertig gestellt, birgt auch einige Besonderheiten. Da ist einmal die Größe von fast 7 x 4 Metern, dann die schon fast barocke Dynamik der Bewegungen und, wie immer bei Tizian, die Farben. Und wie er Perspektive über die Farben und Schärfe und Unschärfe der Darstellung schafft. Viele stellen das Bild in eine Reihe mit den Stanzen des Raffael und den Fresken der Sistina. Für die konservativen Franziskaner war das fast zu viel.
Erst als der habsburgische Kaiser das Bild wegkaufen wollte, hängten sie es in der Kirche auf. Auch dieses Bild bringt Neues. Es war der erste Hochalter und die Darstellung hat sich von den kirchlichen Konventionen gelöst und sich mehr am Publikumsgeschmack orientiert.

Weg vom C. S. Stefano zum C. S Polo
©: Openstreetmap-Mitwirkende
San Polo

Nach dem Kirchenbesuch überqueren wir auf der breiten Brücke den Rio del Frari, gehen nach rechts noch ein kleines Stück an ihm entlang und dann den Rio Terà S. Tomà entlang. Und dann gleich rechts in die Calle Seconda dei Saoneri bis zur Calle dei Saoneri (ohne Seconda), dort links und immer geradeaus bis zur Piazza San Polo.

Campo San Polo

Hier ist es dann – auf sehr angenehme Weise – zu Ende mit der Ruhe. Auf dem Platz ist es lebendig, allerdings weniger wegen der Touristen, sondern wegen der Einheimischen. Der zweitgrößte Platz von Venedig war zunächst ein Feld (deshalb „Campo“), dann Markt und Ort für Spektakel, z.B. Stierkämpfe. Heute wird hier Karneval gefeiert, es finden Open-Air-Konzerte statt und Filmvorführungen. Der Campo ist also so etwas wie der Alter Markt von Venedig. Namensgebend für den Platz ist die Kirche San Polo mit dem Abendmahl von Tintoretto.

Außerdem findet sich ein Bilderzyklus von Tiepolo in der Kreuzweg-Kapelle. An der Salizada San Polo gibt es eine Kuriosität aus dem frühen 17. Jahrhundert. Auf einer Tafel werden Turniere, Stierkämpfe und Handel auf dem Platz unter Androhung von Gefängnis, Galeerendienst oder Verbannung verboten. Man hatte es wohl zu bunt getrieben.

Tafel an der Kirche San Polo
Campo San Agostin

Weiter geht’s am Nordende des Campo San Polo den Rio Terà S. Antonio entlang (beim Palazzo Dona Brusà). Dann gleich rechts-links in die Calle Bernardo, immer geradeaus, am Rio Terà Secondo links. Machen Sie einen kleinen Abstecher auf den Campo San Agostin.
Der Name kommt von einer Kirche aus dem 10. Jahrhundert, die mehrfach abgebrannt ist und immer wieder aufgebaut wurde. Ihr Ende begann mit der Schließung im Jahr 1810, danach wurde sie noch zur Mühle umgebaut und als Lager genutzt und schließlich 1872 abgerissen. Geblieben ist von der damaligen Platzanlage nur der Brunnen. Dieser wurde früher aus einer unterirdischen Zisterne gespeist, die das Regenwasser auffing: Rund um den Brunnen in Campo S. Agostin gibt es noch vier Abdeckungen für die ehemaligen Absetzbecken.

Auf dem Platz gab es eine Säule, die an die Schandtaten des Bajamonte Tiepolo erinnerte. Er hatte im frühen 14. Jahrhundert einen Aufstand geplant, der Venedig zur Monarchie machen sollte – und hat natürlich nichts mit dem Maler Tiepolo zu tun. Bajamonte Tiepolo hatte seinen Palast fast neben der Kirche S. Agostin, im ehemaligen Campiello del Remer (‚remer‘ = Ruderer).

Nach der Niederlage von Bajamonte und seinen Komplizen wurde sein Haus abgerissen, und an seiner Stelle 1364 eine Säule aufgestellt, die folgende Inschrift trugt: „DE BAJAMONTE FO THIS TERENO E MO PER LO SO INIQUO TRADIMENTO S’È POSTO IN CHOMUN PER ALTRUI SPAVENTO E PER MOSTRAR A TUTI SEMPRE SENO“ („Dieses Land gehörte Bajamonte Tiepolo, und nun ist es wegen seines ungerechten Verrats öffentlicher [Grund] geworden, und [diese Worte] sollen für immer allen als Warnung gezeigt werden“). Ein Komplize beschädigte die Säule und dafür wurde ihm die Hand abgeschlagen, er wurde geblendet und verbannt. Ja, so war das damals. Die Säule wurde mehrmals verkauft, landete im Garten einer Villa am Comer See und wurde später wieder nach Venedig zurückgebracht Heute wird sie im Correr-Museum aufbewahrt.

Piazza San Agostin

An der Stelle, an der die Säule bis 1785 gestanden hatte, d.h. hinter der Apsis der ehemaligen Kirche S. Agostin, wurde 1841 ein weißer Stein mit der Inschrift: „LOC. COL. BAI. THE. MCCCX“ (d. h. „Ort der Säule von Bajamonte Tiepolo 1310“) aufgestellt.

Im Boden des Platzes sind Steine eingelassen. Hier wurden früher Stangen für Wäscheleinen befestigt.

Hier gibt es eine sehr nette Osteria (Due Colonne), die sich für ein Mittag- oder Abendessen (etwas) abseits des Trubels anbietet. Hier gibt es noch die typische Gastlichkeit. Wenn einmal (im Frühjahr) alle Tische in der Sonne belegt sind, trägt der Ober einfach einen Tisch vom Schatten in die Sonne. Ja, sowas gibt’s.

Gleich nebenan, am Campiello S. Agostin steht der Palazzo Morosini. Ein Vertreter der Familie, Domenico Morosini, brachte 1204 die vergoldete Quadriga aus Konstantinopel mit, die heute auf dem Markusdom angebracht ist. Sie war als Symbol der Verbreitung des Evangeliums gedacht (4 Evangelisten) und als Zeichen der Kontinuität der Macht von Byzanz. Ein Bein eines Pferdes, das beim Transport abgebrochen war und ersetzt wurde, behielt die Familie und brachte es an der Fassade des Palastes an.

Steintafel Daniele Manin

Im Ramo Astori, benannt nach einer Familie, die ein Zucker-Geschäft und eine Zuckerraffinerie besaß, erinnert eine Steintafel an Daniele Manin (1804-1857), ein Revolutionär von 1848, der daran beteiligt war die Repubblica di San Marco auszurufen und der hier geboren wurde. Seine Statue steht auf dem Campo Manin im Sestiere San Marco. Tatsächlich hielten die Revolutionäre den Österreichern 17 Monate lang stand.
Am 23. August 1849 wurde die Stadt erobert. Manin wurde mit anderen nach Frankreich ausgewiesen und lebte bis zu seinem Tod in Paris. Nach dem Zusammenschluss Italiens wurden Seine Gebeine in den Markusdom überführt.

Ein kleiner Platz und sehr viele Bezüge zur Geschichte der Stadt.

Campo Giacomo da l’Orio

So, jetzt gehen wir dann den Rio Terà Primo weiter und dann immer geradeaus bis zum Campo Giacomo da l’Orio. Warum endet der Spaziergang hier? Weil es einer der ursprünglichsten Plätze in Venedig ist. Man meint, man wäre in einer italienischen Kleinstadt. Es gibt die Taverna Capitan Uncino, die La Patatina di San Giacomo und die Bar Al Prosecco. Man kann also in aller Ruhe, bei einem leckeren Essen oder einem Caffè die Atmosphäre genießen.

Campo Giacomo da l’Orio
Kirche Giacomo da l’Orio

Eine kleine Runde in der Ruga Bella und der Ruga Vecchia zeigt viel Kanal-Romantik.

Vom.  C. S. Polo zum C. Giacomo da l'Orio
©: Openstreetmap-Mitwirkende

 

Morgenspaziergang (2) in Dorsoduro: Hexenwecker, Schlägereien, Barmherzigkeit, Veronese und Bootsbauer

Heute geht es durch den Stadtteil Dorsoduro. Der Name („Harter Rücken“) kommt daher, dass hier der Untergrund härter ist, als in den anderen Stadtvierteln. Dorsoduro erstreckt sich vom Canal Santa Chiara im Westen bis zur Landspitze hinter Santa Maria della Salute. Und die Giudecca gehört auch noch dazu. Man kann sich hier gut einen Tag lang aufhalten. Wir wollen aber hier nur den Morgen verbringen und vielleicht noch den Vormittag.

Seit in den Reiseführern steht, dass es in Dorsoduro wenig Touristen und niedrige Preise gibt, kommen die Touristen dorthin und die Preise steigen. Am Abend stehen freundliche Ober vor den Restaurants am Campo Santa Margherita und fragen die Touristen, ob sie nicht in das Restaurant kommen wollen. Es ist aber so, dass die Restaurants immer noch meist klein sind und dort gut gekocht wird. Man kann der Aufforderung, ins Restaurant zu kommen, also durchaus folgen, wenn man nichts dagegen hat, dort nur Touristen zu treffen.

Auch hier gilt also: früh aufstehen, wenn man Venedig (fast) ohne Touristen erleben will.

Hexenwecker

Startpunkt unseres Spaziergangs ist die Pasticceria Toletta (Calle de la Toleta Dorsoduro 1192).

Es gibt sehr guten caffé und die besten Süßigkeiten, die man sich denken und mehr Sorten als man essen kann. Sehr gut für ein typisch italienisches Frühstück. Es gab auch einmal wenige Außenplätze, letzten Sommer und dieses Frühjahr aber nicht mehr.

Der Straßenname Toletta soll daher kommen, dass früher Planken über den Kanal gelegt wurden.

Gleich daneben gibt es, an der Wand eines gelben Hauses hängend, ein Kuriosum: La Sveglia della Strega, den Hexenwecker.

Der Legende nach lebte in dem Haus eine Hexe, die sich mit schwarzer Magie beschäftigte. Sie zauberte immer zu einer bestimmten Zeit. Als die Hexe starb, war das Haus, in dem sie lebte, jahrelang geschlossen, weil niemand dort leben wollte. Und natürlich gab es auch merkwürdige Vorkommnisse. Dagegen musste etwas unternommen werden. Man brachte einen Wecker an, der die Hexe an die Zauberstunde erinnern sollte. Und tatsächlich – die merkwürdigen Ereignisse hörten auf.
Irgendwann, man hatte den Zweck des Weckers wohl vergessen, wurde er entfernt. Und schon kamen die unheimlichen Ereignisse wieder. Seitdem hängt der Wecker dort und ist jetzt sogar durch einen kleinen Glaskasten geschützt (auf dem Bild – fast nicht – zu sehen neben dem grauen Stromkasten links oben).

Neben der Pasticceria gibt es einen Handy-Hüllenladen und einen Maskenladen. Hinweis darauf, dass man den Besuch wirklich auf die Morgenstunden beschränken sollte.

Wir gehen in die Sacca della Toletta, immer weiter geradeaus über den Rio del Malpaga, durch den Sottoportego Casin dei Nobili und sind auf dem Campo San Barnaba.

Der Name Malpàga stammt vom Spitznamen des Generalkapitäns der Galeeren Fantino Michiel (1350-1434). Er soll 10% vom Sold seiner Galeerensklaven abgezogen, also schlecht bezahlt haben, um das Schloss Galioto in der Nähe von Ragusa zu bezahlen.

Der Name des Durchgangs „Casin dei Nobili“ geht auf ein Haus für Adelige zurück, das im darüber liegenden Palast untergebracht war. Die Casini waren kleine Wohnungen oder auch nur Zimmer, in denen sich Gesellschaften meist nachts zum Tanzen, Essen, Musizieren, aber vor allem zum Glücksspiel trafen. Sie waren über die ganze Stadt verstreut und für alle Gesellschaftsschichten gedacht. Einige dieser Kasinos, vor allem im 18. Jahrhundert, waren aufwendig gestaltet mit Gold- und Stuckverzierungen. Hier handelte es sich jedoch um  ein eher einfaches Kasino – für die verarmten Adeligen.

Campo San Barnaba

Der Campo San Barnaba war Schauplatz von Filmen, z.B. „Summertime“, oder „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ und hat alles, was man von einem Platz in Vendig erwartet: Kanal, Kirche, Cafès. Die Kirche wurde Anfang des 9. Jahrhunderts von einer Familie Adami, andere sagen Adormi, gegründet . Die Kirche ist mehrmals abgebrannt und wohl erst im 14. Jahrhundert geweiht worden und später im klassizistischen Stil umgebaut worden. Im Zuge der Napoleonischen Herrschaft wurde die Kirche säkularisiert und dient heute als Ausstellungshalle.

Ein Besuch lohnt sich wegen der Kunstwerke in der Kirche: Gemälde von Paolo Veronese, die Decke von  Tiepolo und das Gemälde „Heilige Familie“ ebenfalls von Veronese. Außerdem gibt es eine permanente Ausstellung von Leonardo da Vinci (Le macchine di Leonardo da Vinci).

Dass der Platz noch nicht ganz von Touristen erobert wurde zeigt der schwimmende Fruttivendolo am Kanal.

Wir gehen über die Ponte San Barnaba und gleich links am Kanal entlang bis zur nächsten Brücke, Ponte die Pugni (Brücke der Fäuste). Die Brücke verdankt ihren Namen einer alten „Tradition“, die bis ins frühe 18. Jahrhundert reichte. Die Brücke war der Austragungsort von Schlägereien zwischen den Nicolotti (Bewohner des Viertels San Nicolò dei Mendicoli, einschließlich Santa Croce, San Polo und eines Teils von Dorsoduro und Cannaregio) und der Castellani (Viertel San Marco, übriger Teil von Dorsoduro und Cannaregio, Lido und natürlich Castello). Es gab genaue Regeln und Modalitäten.

Die Ursprünge der Kämpfe liegen im Dunkeln. Der Spaß an der Sache war, dass im Mittelalter viele Brücken noch keine Geländer hatten. Ziel war also, die Gegner in den Kanal zu befördern.

Die Kämpfe wurden um 1292 von der venezianischen Regierung geregelt und waren von September bis Weihnachten erlaubt; 1705 wurden sie verboten.

Der zentrale Teil der Brücke hat an seinen vier Seiten jeweils einen Fußabdruck aus weißem Marmor: Diese Fußabdrücke markierten auf der einen Seite die Stellen, an denen die einzelnen Kämpfe stattfanden, während sich an den gegenüberliegenden Ecken die Stationen der Schiedsrichter befanden. Es gab drei Arten von Kämpfen:

Pugliato (Boxen): Der Kampf endete mit dem ersten Blutvergießen (romper el mustachio genannt), und wenn der Verlierer ins Wasser fiel, wurde der Sieg doppelt gewertet.

Frota (Schlägerei): Kampf zwischen mehreren Personen der einen und der anderen Partei, die in einer wilden Schlägerei aufeinander trafen.

Guerra ordinata (geordneter Kampf): Eroberung der Brücke durch eine der zwei Gruppen, die ihre Gegner auf ihre Seite drängen und so viele wie möglich von ihnen ins Wasser werfen mussten.

Die Vorbereitungen für den Kampf waren gründlich: Zunächst fand eine öffentliche Herausforderung statt, die Brücke wurde gegebenenfalls verstärkt, und der Kanal wurde ausgegraben und gereinigt, damit die Kämpfer, die ins Wasser fielen, sich nicht weiter verletzten.

Am Tag des Kampfes trafen die beiden Mannschaften unter dem Klang von Musik ein und stellten sich auf beiden Seiten der Brücke auf. 300 Kämpfer auf jeder Seite waren keine Seltenheit.

In Würzburg hängt ein Bild, dass die Sache recht eindrucksvoll schildert.

Auch wenn es Verletzte und manchmal sogar Tote gab, vertrug man sich nach den Schlägereien wieder. Es gab Szenen der Reue, große Umarmungen und Getränke für Sieger und Besiegte.

Das Verbot kam, wenig verwunderlich, als die Kämpfer es zu bunt trieben und Messer und Steine einsetzten. Wenn der Priester von San Barnaba nicht mit dem Kruzifix in der Hand die Streitenden getrennt hätte, wer weiß, was noch passiert wäre.

Die heutige Brücke wurde in den 1870er Jahren komplett umgebaut und mit einem Eisengeländer versehen. In der Nähe des Campo di Santa Fosca im Stadtteil Canaregio gibt es eine weitere, allerdings weniger bekannte Brücke der Fäuste, die ebenfalls Fußabdrücke aus istrischem Stein aufweist. Darüber hinaus wurden mehrere andere Brücken in den Faustkriegen als Schlachtfelder genutzt.

In den Jahren nach 1705 mussten sich die beiden rivalisierenden Fraktionen auf weniger blutige Aktivitäten beschränken, wie z. B. Regatten oder dem Aufstellen menschlicher Pyramiden (Forze d’Ercoree genannt).

Campo Santa Margherita

Wir betreten also besser nicht die Brücke und wenden uns nach rechts in den Rio Terà Canal (der Name Rio Terà weist auf einen ehemaligen Kanal hin, der zugeschüttet wurde), dem wir an der nächsten Ecke nach links folgen. Und so gelangen wir zum Campo Santo Margherita.

Der Platz, benannt nach der von Napoleon säkularisierten Kirche, die jetzt eine Aula der Universität beherbergt, lag früher am Stadtrand. Vom Kirchturm ist nur ein Stumpf übrig, da er einzustürzen drohte. Hier war zeitweise eine Tabakfabrik, ein Marmorlager das Studio eines Bildhauers und auch ein Kino.

Der Campo war jahrelang das Zentrum des handwerklichen und industriellen Lebens der Stadt. Es gab bzw. gibt zwei Scuole, die der Varoteri und die Scuola Grande dei Carmini. Später trafen sich hier Sozialisten und Schriftsteller. Heute dominieren  – neben Touristen – Studenten.

Die Scuola dei Varoteri wurde im Jahr 1197 gegründet, damals hieß sie Scuola de Santa Maria ed Helisabetha di Varoteri. Das Symbol der Scoula war ein Kreuz mit fünf Speichen.

Im Jahr 1723 sollte das ursprüngliche Gebäude abgerissen werden, da die Jesuiten den Platz für ihre  Kirche mit einem angrenzenden Kloster brauchten. Der Senat genehmigte den Varoteri den Wiederaufbau der Schule an einem Ort – eben am Campo Santa Margherita. Die Jesuiten bezahlten den Neubau. Das 1725 fertiggestellte Gebäude kopiert das Aussehen des alten Gebäudes.

Campo Santa Margherita

Auch das Gebäude wurde von Napoleon säkularisert. Danach wurde das Gebäude zunächst als Kohlendepot genutzt, dann von den Faschisten genutzt und schließlich zum Sitz der christdemokratischen Partei. Heute ist das Gebäude vollständig renoviert und wird als Gemeindebüro verwendet.

Das Wort „Varoteri“ leitet sich von „vaio“, dem sibirischen Eichhörnchen, ab, das für die Pelzherstellung weit verbreitet war. Das zeigt, was dort gemacht wurde. Das Haus war wegen des Geruchs der Felle etwas abseits von den anderen Gebäuden erstellt worden und nahe am damals noch vorhandenen Kanal, um die Felle transportieren zu können.

Dass auf dem Campo gehandelt wurde, zeigt eine Tafel an dem Gebäude, auf der die Mindestgrößen der verkauften Fische angegeben sind, um den Fischfang zu schützen und gleichzeitig den Preis dieses in Venedig so beliebten Lebensmittels einheitlich zu gestalten.

Während hier Lokalkolorit im Vordergrund steht, ist die Scoula die Carmini eine echte Sehenswürdigkeit.

Die der heiligen Maria vom Berge Karmel („dei Carmini“) gewidmete Bruderschaft der Verehrung und der Nächstenliebe erhielt am 22. September 1597 die offizielle Anerkennung durch den Rat der Zehn und wurde 1767 zum Großorden erhoben.

Die Bruderschaft hatte ihren heutigen Sitz im 17. Jahrhundert neben der Kirche errichtet, die den Karmelitermönchen gehört hatte und in der die Bruderschaft ihren ersten Sitz hatte.

In den Innenräumen der Scuola ist die ursprüngliche Einrichtung vollständig erhalten geblieben.

Tiepolo malte zwischen 1739 und 1749 9 Deckengemälde. Das große Gemälde in der Mitte zeigt die „Erscheinung der Muttergottes vom Berg Karmel vor dem Heiligen Simon Stock, dem sie das Skapulier überreicht“. Das führt schon tief in die katholischen Heiligenlegenden. Der hl. Simon Stock war ein englischer Einsiedler der in den Karmeliterorden eintrat und mit 80 Jahren zum General gewählt wurde. Die anderen Orden fanden die Karmeliter schwierig und intervenierten beim Papst, den Orden aufzulösen. Und der hl. Simon Stock betete zur lieben Frau vom Berge Karmel. Und prompt erschien Maria und überreichte ihm ein Skapulier (Schulterüberwurf). Wo sie schon dabei war, erschien sie dann auch dem Papst und prophezeite, dass die Chefs der anderen Orden sterben würden. Also besann sich der Papst und schützte fortan die Karmeliter.

Was wollte die Bruderschaft ihren Zeitgenossen mit dem Bild sagen? „Lasst mal lieber die Finger von uns, wir stehen unter höchstem Schutz.“

Ziel der Bruderschaft war es, Mitbrüder geistlich und wirtschaftlich zu unterstützen, Almosen an Arme und Kranke zu verteilen.

Auch wenn man sich nicht so brennend für Heiligenlegendenbilder interessiert, ist die Scuola einen Besuch wert.

Ganz sicher kann man auf dem Platz schön verweilen, sich die Obst- und –Gemüsestände und den Fischstand ansehen oder in einem der zahlreichen Cafès die Sonne genießen.

Weiter geht’s durch die schmale Calle de Pazienze, wieder über den Kanal und rechts in die Calle lunga San Barnaba, über den Rio dell‘ Avogaria und weiter geradeaus.

Worher der Name Avogaria? Die Avogadoria de Comùn oder Avogaria de Comun, wörtlich „kommunale Anwälte“, war eine Institution der venezianischen Republik. Ihre Aufgabe war, die Interessen der Commune Veneciarum, d. h. der Gruppe der Patrizierfamilien, die die Stadt Venedig regierten, zu wahren und zu verteidigen, ähnlich wie eine moderne Staatsanwaltschaft. Sie wurde vielleicht schon 864 gegründet, vermutlich aber erst im 12. Jahrhundert. Mit dem Ende der Serenissima im Jahr 1797 stellte auch die Avogadoria de Comun, wie die anderen Organe des venezianischen Staates, ihre Tätigkeit ein.

Diese kleine Straße gehört Hauptsächlich Ihren Bewohnern. Es gibt ein paar kleine Läden.

Wir überqueren den nächsten Kanal und sind schon bei der Kirche San Sebastiano. Hier ist Postkartenidylle.

Wer einen großen Teil des Lebenswerks von Veronese ansehen möchte, ist in der Kirche richtig. Das Innere ist überwältigend.

Veronese malte 10 Jahre an den Bildern der Kirche. Man kann also seine Entwicklung als Künstler hier verfolgen. Auch ein Bild von Tizian ist zu sehen.

Wir gehen wieder ein Stück zurück, über die Brücke und rechts am Kanal entlang.

Jetzt ist eine Entscheidung zu treffen. Wer gerne einen Kaffee trinken und dabei aufs Wasser der Lagune sehen möchte, geht weiter geradeaus bis zur Trattoria San Basilio (dort gibt es Kaffee und Aussicht) und danach weiter am Wasser, über die Ponte Longo und links den Rio de San Trovaso lang.

Wer vielleicht schon einen kleinen Hunger hat und sich ein paar Kanapees wünscht, geht an der Calle della Chiesa links, bis man an die Einmündung des Rio del Ognissanti in den Rio de San Trovaso kommt.

Kurz vor der Einmündung geht ein kleiner Durchgang rechts, dem folgen wir bis zur Lagune, gehen über die Ponte Longo, dann links und dann sehen wir bald gegenüber die Bootswerft – die letzte in der Innenstadt – und kommen ebenfalls zum Rio San Trovaso.

Ein Stück weiter gibt es dann die Kanapees, besser natürlich „Cicchetti“ in der Cantine del Vino già Schiavi, direkt an der Brücke. Aktuell zurecht gehypt. Es gibt sie schon am Vormittag.

Man bekommt die Cicchetti auf einem Pappteller. Gegenüber gibt es am Kanal eine kleine Grünfläche. Man kann sich auf die Kanalmauer setzen und die Cichetti genießen. Schwer zu empfehlen.

Cichetti sind eine venezianische Spezialität. Der Name Cicchetti leitet sich von lateinisch „ciccus“ = kleine Menge ab. Zu Cicchetti wird eine „Ombra“ gereicht, d. h. ein Glas Wein oder Prosecco aus der Region. Aber natürlich kann man sie auch alleine essen.

„Ombra“ kommt daher, dass die  venezianischen Kaufleute die Getränketheke ursprünglich im Schatten des Glockenturms von San Marco aufstellten, um den Wein kühl zu halten. Entstanden sind die Cichetti wohl in Tavernen („Bacari“).

Ein schönes Ende unserer kleinen Runde.

Wenn man hier den Aperitivo am Nachmittag nehmen möchte, muss man sich auf größeren Andrang einstellen.

Ein schöner Abschluss für unseren Spaziergang.

Rio de San Trovaso mit der gleichnamigen Kirche
Rio del Ognissanti
Cichetti

Von Cannaregio nach Castello, Teil 1: vom Canale di Cannaregio zur Scuola Grande di San Marco

Wem die bisherigen Spaziergänge zu kurz waren: hier ist ein längerer mit einer reinen Gehzeit von einer Stunde. Die Richtung ist so gewählt, dass die Touristenzahl während des Spaziergangs laufend abnimmt. Der zweite Teil des Spaziergangs eignet sich auch gut für den späteren Nachmittag und die „golden hour“.

Canale Cannaregio

Den Anfang macht ein Frühstück am Canale di Cannaregio (ein Stück hinter dem ehemaligen Ghetto) z.B. im MQ10 (ab 7:00 Uhr) oder im Al Parlamento (ab 7:30 Uhr) schräg gegenüber am Kanal, je nach Sonnenstand (Parlamento am Morgen).

Das erste Ziel nach dem Frühstück ist das ehemalige Ghetto, das hier im Mittelalter entstand. Es war das erste Ghetto überhaupt und war namensgebend. Auf der Insel, die den Juden zugewiesen wurde, gab es Gießereien und „geto“ bedeutet auf venezianisch „schmelzen“. So ist die Bezeichnung Ghetto entstanden.

Campo del Ghetto Nuovo

Im 14. Jahrhundert wurden Juden in die Stadt geholt, erhielten aber kein dauerhaftes Bleiberecht. Man erhoffte sich von Ihnen Kredit und wirtschaftlichen Aufschwung. Der kam auch, aber es wurde den Juden schlecht gedankt. Sie wurden diskriminiert und es kam zu Konflikten. Außerhalb Venedigs und in dessen Kolonien gab es schon abgegrenzte Viertel, in denen Juden leben mussten. In Venedig beschloss man deshalb Anfang des 16. Jahrhunderts, den Juden eine Insel innerhalb der Stadt zuzuweisen, auf der sie leben konnten. Das Ghetto wurde jeden Abend abgeschlossen und nachts bewacht.

Die Besteuerung der Juden war hart, aber die Stadt beschützte sie wenigstens weitgehend vor Repressionen und Übergriffen, bzw. bestrafte diese, falls sie vorkamen. So kam es auch, dass Juden, die in anderen Ländern verfolgt wurden, nach Venedig kamen –  trotz aller Diskriminierung, die ihnen auch in Venedig widerfuhr. Mit der Eroberung durch Napoleon wurde das Ghetto geöffnet und die Pflicht, dort zu wohnen, aufgehoben. Eine endgültige Gleichstellung erfolgte allerdings erst 1848.

Der Glanz und die Bedeutung Venedigs hatten allerdings schon im 17. Jahrhundert gelitten. Zum Zeitpunkt der Öffnung des Ghettos hatten viele Einwohner die Stadt schon verlassen und viele Häuser waren verfallen.

Zur Zeit des Faschismus wurden fast alle Juden aus Venedig deportiert und größtenteils ermordet. Nach dem Krieg hat sich langsam wieder eine kleine jüdische Gemeinde in Venedig gebildet.

Im 16. Jahrhundert lebten 4.000 Menschen auf der winzigen Insel. Man war gezwungen,  Häuser mit bis zu 8 Stockwerken zu bauen, und, da der Untergrund nicht fest war, dafür die Stockwerkshöhen zu reduzieren. Es wurden fünf Synagogen gebaut:

    La Schola Grande Tedesca (Schola Todesca)

    La Schola Canton

    La Schola Levantina

    La Schola Spagnola

    La Schola Italiana

Die Synagogen wurden in bereits bestehenden Gebäuden im obersten Stockwerk eingerichtet.  

Der Grund, warum man die Juden in die Stadt holte war, dass Juden als „Bankiers“ arbeiten konnten.

Die drei Pfandhäuser befanden sich alle im Campo del Ghetto Nuovo: Banco Rosso, Banco Verde und Banco Nero. Ihre Namen hingen wahrscheinlich von der Farbe der Pfandscheine der einzelnen Geschäfte ab. Banco Rosso ist noch zu sehen. Angeblich entstand hier  auch der Ausdruck „in den roten Zahlen sein“. Oder es kommt daher, dass in der damaligen Buchhaltung Schulden mit roter Tinte geschrieben wurden.

Mehr zum Ghetto sehen Sie in diesem Video.

Corte Scala Mata

Um vom Cafè zum Ghetto zu gelangen, gehen wir den Kanal Richtung Süden entlang. Vom Parlamento gehen wir bis zur Brücke „Ponte delle Guglie“, über den Kanal und ein kleines Stück zurück und dann in die Cl. Ghetto Vecchio hinein. Vom MQ10 sparen wir uns den kleinen Umweg über die Brücke und gehen direkt in die schmale Cl. Ghetto Vecchio.

Ein Blick auf die Brücke lohnt sich vorher in jedem Fall. Es ist die einzige Brücke in Venedig mit Obelisken (Guglie = Türme). Der erste Bau wurde 1285 errichtet. Die Holzkonstruktion war allerdings wartungsintensiv, so dass 1580 eine Steinbrücke gebaut wurde. 1823 gab es noch einmal einen Neubau. Zu der Zeit sind auch die Obelisken entstanden. Eine Inschrift verweist auf den Erbauer Marchesino dei Marchesini.

Wer sich schon einmal orientieren möchte, von der Ponte delle Guglie gibt es einen Live-Stream.

Die Straße weitet sich zu einem kleinen Platz (Campiello de le Scuole) und gegenüber geht es weiter. An diesem kleinen Platz steht die Synagoge „Scoula Levantina“. Sie wurde wahrscheinlich Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet und etwa ein Jahrhundert später umgebaut. Das Innere ist eindrucksvoll. Die Synagoge ist nur im Rahmen einer geführten Tour des Viertels zu besichtigen.

Danach kommt noch ein kleiner Platz (Corte Scala Mata, benannt nach den „unechten“ Treppen, die aus Raumnot in den Häusern verwendet wurden: es waren nur schiefe Ebenen mit einzelnen Stellen zum Stehenbleiben) mit einem Kindergarten, einer Bäckerei, einem Restaurant und zwei der alten 7-stöckigen Gebäude. Wir gehen weiter, überqueren noch den Rio del Gheto und kommen zum Hauptplatz des ehemaligen Ghettos (Campo del Ghetto Nuova).

Rio del Geto
Panificio Giovanni Volpe, Cl. Ghetto Vecchio, 1143

Es sei daran erinnert, dass es hier sehr leckeres Gebäck und auch anderen Köstlichkeiten gibt. Wo immer Sie eine Gelegenheit finden, sollten Sie sie nutzen.

Hier seht unter anderen das Jüdische Museum, die deutsche und die italienische Synagoge, sowie hohe Gebäuden mit Privatwohnungen. Es gibt drei Brunnen aus dem 15. Jahrhundert, zwei aus rosafarbenem Veroneser Marmor und einer aus istrischem Stein. An der Fassade eines Hauses in der nördlichen Ecke befinden sich mehrere Bronzereliefs des litauischen Bildhauers Arbit Blatas zum Gedenken an die Shoah, zwei davon 1980 und ein drittes mit dem Titel „Der letzte Zug“ 1993 anlässlich des 50. Jahrestages der Deportation der Juden aus dem Ghetto von Venedig angebracht.

Nun verlassen wir das Ghetto wieder.  Dafür gehen wird auf der Süd-Ostseite durch den Durchgang „Sottoportego de Gheto Novo, über den Kanal und gleich rechts in die Fondamento di Gheto Novissimo. Wir folgen der Straße bis zur Calle de Case Nove, gehen dort rechts und gleich wieder links bis zum Rio Terà S. Leonardo. Hier wird’s trubelig, denn hier ist von Montag bis Samstag Markt. Die Öffnungszeiten richten sich „nach den Öffnungszeiten der Geschäfte“ lt. Venezia unica.

Es lohnt sich, den Markt, der sich die ganze Straße entlang zieht, in Ruhe anzusehen.

Wir sind jetzt gefährlich nahe am Canale Grande und den Hauptwegen der Touristen. Deshalb bietet sich zu unserem nächsten Ziel ein kleiner Umweg an. Also gehen wir den Rio Terà Farsetti bis zum Kanal Rio della Misericordia entlang. Die Straße ist teils schmaler, teils breiter. Es gibt dort kleine Geschäfte und Cafès oder Restaurants.

Den Kanal überqueren wir auf einer Holzbrücke, biegen nach rechts ab und folgen ihm ein längeres Stück. Der Kanal ist Venedig-Feeling pur mit ebenfalls keinen Geschäften und Restaurants. Wer das alles erst einmal bei einem Kaffee in Ruhe anschauen möchte findet mehrere Angebote.

Schließlich gelangen wir zu Scoula Grande della Misericordia.

Rio della Misericordia beim Rio Terà Farsetti
Rio della Misericordia bei Calle Larga
Rio della Misericordia bei der Calle Longa
Scuola Grande della Misericordia

Sie gehörte ursprünglich einer Bruderschaft, die von 1308 bis 1806 aktiv war. Deren Anliegen war, die Armut und Not in Venedig zu bekämpfen. Ihre Geschichte ist mit der der Kirche der Abtei Misericordia verbunden, in deren Nähe sie im Laufe der Zeit zwei Gebäude errichtete, die noch erhalten sind (Scuola vecchia di Santa Maria della Misericordia  und Scuola nuova di Santa Maria della Misericordia).

Das Gebäude wurde 1310 errichtet und mehrmals erweitert, bis es Mitte des 15. Jahrhunderts das heutige gotische Aussehen erhielt. Das Portal war mit einer Lünette mit Skulpturen geschmückt, die sich heute im Victoria and Albert Museum in London befinden.

Wenig später beschloss die Scuola, in das größere Gebäude auf der anderen Seite des Rio umzuziehen, während dieses Gebäude bis 1806 die Zunft der Seidenweber beherbergte.

Hier malte Tintoretto das „Paradies“, das die Rückwand der Sala del Maggior Consiglio im Dogenpalast ziert. Der Saal im Erdgeschoss ist durch Säulen in drei Schiffe unterteilt, während sich im Obergeschoss ein großer Saal befindet, der für Versammlungen der Bruderschaft genutzt wurde und mit Fresken aus der Schule von Paolo Veronese ausgestattet ist. Er enthielt bemerkenswerte Gemälde, die nach der Zerstörung von 1806, als das Gebäude militärisch genutzt wurde, verloren gingen.
Im 20. Jahrhundert wurde das Gebäude als Sportstätte genutzt, und die Halle im Obergeschoss beherbergte lange Zeit die Reyer Venezia, die Basketballmannschaft der Stadt. Derzeit wird es als Ausstellungsort genutzt.

Hier gibt es mehr dazu.

Palazzo da Lezze

Direkt daneben ist die Chiesa Santa Maria della Misericordia. Einen Vorgängerbau im byzantinischen Stil gab es schon seit dem 10. Jahrhundert. Dieser wurde im 13. Jahrhundert umgebaut. Die Pest raffte 1348 alle Mönche hinweg. Der Abt überließ Luca Mora das Patronat über die Kirche, das der Familie bis zum Untergang der Republik Venedig gehörte. 1649 wurde die Fassade im Barockstil umgestaltet. Zur Zeit der Napoleonischen Herrschaft wurde die Kirche in ein Militärlager verwandelt und das Kloster abgerissen. 1864 wurde die Kirche von der Familie Moro-Lin erworben, die alle noch vorhandenen Kunstwerke verkaufte. Die Kirche wurde noch mehrmals verkauft und 1973 endgültig aufgegeben.

Wer Moonraker und Nosferatu mit Klaus Kinski gesehen hat, erkennt die Kirche vielleicht wieder: Einzelne Szenen wurden hier gedreht. Heute wird die Kirche für Kunstausstellungen genutzt.

Wir gehen nun über die Ponte della Misericordia. Vor der nächsten Brücke (Ponte Chiodo) gehen wir rechts. Die Ponte Chiodo ist eine von zwei Brücken in Venedig, die keine Brüstung haben (die andere ist: die Teufelsbrücke auf der Insel Torcello). Sie wird auch nur von den Bewohner:innenn der Häuser, zu denen sie führt, benutzt. Chiodo ist der Name der venezianischen Adelsfamilie, der die Brücke einst gehörte.

Wir gehen dann gleich links über die Ponte Raccheta und dann die Calle della Raccheta wieder links.

Ja, gemeint ist tatsächlich ein Tennisschläger, denn hier wurde schon im 16. Jahrhundert eine Art Tennis gespielt. Auf einem Gemälde von Tiepolo ist sogar ein solcher Tennis-Schläger zu sehen.

Die erste überdachte Halle für das Spiel wurde in Cannaregio, hier  in der Nähe des Klosters Santa Caterina errichtet. Es sollen Botschafter und päpstliche Nuntien, Karl VI. und Karl VII., der König von Polen, der König von Dänemark, die Kurfürsten von Mainz und Bayern und der junge Friedrich August von Sachsen dort gespielt haben. Das wäre doch was, wenn unsere Polit-Promis auch so sportlich wären.

Später wurden die Tennishallen häufig in Theater umgewandelt. Fürst Alfonso II. d’Este scheint der erste gewesen zu sein, der in Ferrara eine solche Halle umwandelte. Auch das Teatro Carignano In Turin war zuvor eine solche Halle.

Das Gemälde von Tiepolo, „Der Tod des Hyazinth“ zeigt den sterbenden Liebhaber des Gottes Apollon. Das Werk war vom deutschen Grafen Wilhelm Friedrich Schaumburg-Lippe in Auftrag gegeben worden – zur Erinnerung an dessen spanischen Lebenspartner, der ein Jahr zuvor starb.

Das Bild ist in Madrid im Museum Thyssen-Bornemisza zu sehen. Nach der ursprünglichen Geschichte, traf Apollon Hyacinth unabsichtlich mit einem Diskus. Vielleicht war auch der eifersüchtige Windgott Zephyros, beteiligt, indem er die Flugbahn abfälschte. Da Wilhelm Friedrich ein begeisterter Tennisspieler war, wurde kurzer Hand der Diskus durch den Schläger ersetzt. Das muss dann ein harter Schlag gewesen sein. Aus dem Blut des Getöteten ließ Apollon eine Blume entstehen. Ob damit wirklich die Hyazinthe gemeint ist, weiß man allerdings nicht so genau.

Wir gehen weiter zum Rio de Santa Caterina, über die Brücke und rechts die Fondamenta Catarina entlang und gehen dann rechts über die Ponte dei Gesuti.

Wir befinden uns in einem bauhistorisch interessanten Gebiet, der Isola di Gesuiti. Zu Beginn des 17.Jahrhunderts musste die Stadt erweitert werden. Das Viertel lag am Stadtrand und bot somit – mit anderen randständigen Vierteln – die einzige Möglichkeit für Stadterweiterungen.  Es entstanden die Fondamente Nove (Neun Fundamente). Die Gegend war also ein Neubaugebiet. Außerdem gab es hier verschiedene Klostergemeinschaften (Santa Caterina dei Sacchi, Crociferi, Gesuiti), die sich mit Palästen (Palazzo Zen), Privatleuten, Künstlern, Bruderschaften und modernen öffentlichen Bauten die Raum teilten und ihre unterschiedlichen Interessen in Einklang bringen mussten.

Es geht geradeaus, weiter über die Ponte dei Sartori und die Salizada Serimann entlang, am Palazzo Seriman vorbei. Das Gebäude stammt ursprünglich aus dem 15. Jahrhundert. Nach mehreren Besitzwechseln wurde es 1725 an die Familie Seriman verkauft. Die Familie war aus Isfahan (damals Armenien, heute Iran) vor den Türken geflohen. Sie finanzierte mit einer erheblichen Summe den Krieg gegen die Türken und erlangte im Gegenzug die Aufnahme in den venezianischen Adel.

Die Seriman waren nicht die einzigen Armenier, die sich in Venedig niederließen. Venedig war im 18. Jahrhundert ein Umschlagplatz für Edelsteine und Diamanten. Über Venedig lief die Verbindung mit der Levante, Persien und Indien mit Italien, Österreich, Polen und Russland. Der von armenischen Händlern betriebene Diamantenhandel basierte also auf globalen Netzwerken, die ihnen Kapital, Information, und Fachspezialisten boten.

Campo Santa Maria Nova

Die Straße weitet sich zu einem kleinen Platz mit Obststand, Kleidergeschäft und  Kiosk. Wir gehen in der gleichen Richtung weiter. Hier gibt es weitere Geschäfte und einen Supermarkt. Wir gehen weiter, bis wir zu dem winzigen Durchgang Sottoportego de la Cason kommen. Danhinter versteckt sich ein kleiner Platz (Campiello de la Cason) mit einem Baum in der Mitte. Hier war früher das Gefängnis von Cannaregio („Cason“ kommt von incasonare, einsperren). Hier wurden Schuldner eingesperrt und Menschen, die leichtere Vergehen begangen hatten.

Wir verlassen den Platz an der gegenüberliegenden Seite (Calle della Malvasia) und kommen zum kleinen Campo S. Canzian, benannt nach der Kirche, die hier steht.

Bevor das Viertel aufgeschüttet wurde, gab es hier eine Anlegestelle für Boote aus der nördlichen Lagune.

Wir gehen an der Kirche vorbei und dann links in die Calle del Spezier und kommen zum Campo Santa Maria Nova. Der Platz mit seinen Geschäften, Bänken und Cafès lädt zum Verweilen ein.

Die Kirche Santa Maria dei Miracoli wurde  Ende des 15. Jahrhunderts von Pietro Lombardo erbaut, um einem angeblich wundertätigen Bild eine Heimat zu geben. Im Inneren ist das Tonnengewölbe mit Holzkassetten und Bildern von Propheten und Patriarchen sehenswert.

Wir gehen von der Kirche wieder zurück zum Campo Santa Maria Nova und gleich rechts am Kanal weiter und über die Ponte die Volto. Weiter geht’s die Calle Larga Giacinto  Gallina (benannt nach einem Bühnenautor des 19.Jahrhunderts) entlang, bis wir über die Ponte de Cavallo zur Basilica di Santi Giovanni e Paolo kommen. Hier sind wir schon im Sestiere Castello.

Campo Santi Giovanni e Paolo

Die Kirche sammelt Superlative: mit der Frari-Kirche der beeindruckendste mittelalterliche Kirchenbau, größte Kirche der Stadt, Pantheon von Venedig wegen der vielen hier beigesetzten Dogen und bedeutenden Persönlichkeiten.  

An der Stelle eines Vorgängerbaus im 14. Jahrhundert gebaut, aber erst 100 Jahre später fertiggestellt. Napoleon vertrieb 1807 die Dominikaner aus dem Kloster und wandelte es in ein Krankenhaus um. 1867 zerstörte ein Brand die angrenzende Scuola Grande del Rosario (heute eine Kapelle) mitsamt den dort aufbewahrten Gemälden vollständig. Die Restaurierung dieser Kapelle wurde 1959 abgeschlossen. Die Kirche lohnt einen Besuch. Der Reichtum an Bildern, Skulpturen und auch die Architektur sind beeindruckend.

Daneben steht die Scuola Grande di San Marco, die im 13. Jahrhundert von einer Laienbruderschaft gegründet wurde. Nach einem Feuer im 15. Jahrhundert wurde das Gebäude im Stil der Frührenaissance wieder aufgebaut. Auch hier war Pietro Lombardo beteiligt. Napoleon löste die Scuola Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Das Gebäude wurde in ein Krankenhaus umgewandelt, das noch heute besteht.

Jetzt wird es Zeit, wieder in etwas weniger belebte Straßen zu gehen. Da sind wir im Sestiere Castello richtig.

Santa Maria dei Miracoli
Campo Santi Giovanni e Paolo
Fondamenta Dandolo

Von Cannaregio nach Castello, Teil 2: von der Basilica di Santi Giovanni e Paolo zu San Pietro di Castello: Waisenchöre, Wohnviertel, wahres Venedig

Arsenal

Der Ursprung von Castello geht auf das Arsenal zurück, das eine wesentliche Stütze der Macht der Serenissima war und eine der produktivsten und größten Schiffswerften der damals bekannten Welt darstellte.

Der Begriff „Arsenal“ ist auch eine italienische Wortschöpfung. Er leitet sich vom arabischen „daras-sina’ah“ ab, was „Haus der Industrie“ bedeutet und in das venezianische darzanà, dann arzanàl und schließlich arsenale überging. Die ursprüngliche Bedeutung war „Produktionsstätte (für Waffen oder Schiffe). Tatsächlich gab es damals schon eine Art Fließbandproduktion und es wurden Standard-Komponenten zusammengesetzt. Später wurde die Bedeutung des Begriffs dann zu „Waffenlager“ umgewandelt.

Vom Campo Santi Giovanni e Paolo aus nehmen Sie die Barbaria de le Tole, die auf der rechten Seite der Basilica dei Santi Giovanni e Paolo verläuft.

Der Name der Straße leitet sich von Tischlern, Holzhändlern und Lagerhäusern ab, in denen Bretter gefertigt bzw. gelagert wurden. Zu „Barbaria“ gibt es eine Reihe von – wenig schmeichelhaften – Vermutungen: unsichere Gegend oder die Handelspartner aus „barbarisch“ genannten Gegenden. Da wäre vielleicht eine Namensänderung der Straße hilfreich.

Gelegenheit für einen kleinen Blick auf einen Teil der venezianischen Verwaltung in der frühen Neuzeit. Die Holzhändler waren nicht in einer Gilde zusammengeschlossen, sondern nur in einem Konsortium. Sie zahlten eine geringe Steuer an die Milizia da Mar (Marineverwaltung, auch zuständig für die Rekrutierung von Seeleuten), unterstanden für die Holzzölle den Governatori delle Intrade (Steuerbehörde) und für den Handel den Cinque Savii alla Mercanzia. Die 5 Weisen regelten den Land- und Seehandel. Sie wurden erstmals im 16. Jahrhundert berufen. Ihre Befugnisse wurden später auf die Löhne der levantinischen Juden des Ghettos von Venedig, die Zuständigkeit für den Fondaco dei Tedeschi, die Genehmigung der Beschlüsse von Laienvereinigungen, die Zuständigkeit für die osmanischen Juden und die Armenier, die Bekämpfung des Schmuggels und für den Tabakverkauf ausgeweitet.

Santa Maria dei Derelitti

Gleich am Anfang der Straße befindet sich auf der linken Seite der Ospedaletto-Komplex, der aus der Kirche Santa Maria dei Derelitti, der Scala dei Sardi, dem Cortile delle Quattro Stagioni und dem Sala della Musica besteht.

Die „Ospedaletti“ waren in der Vergangenheit Einrichtungen für Waisen, Mittellose, Witwen und ältere Menschen. Diese Hospitäler waren ein Ergebnis der Gegenreformation. Man wollte durch soziales Engagement Eindruck machen. Es gab mehrere davon, „Incurabili“ für Schwerkranke, gegründet 1522, „Mendicantini“ für Bettler und Obdachlose, gegründet 1600 und eben „Derelitti“ (wörtlich: Verlassene) für Kranke und Arme. Und „Pietà“ für Waisenkinder und ledige Mütter mit Säuglingen, wovon wir gleich noch mehr hören.

Die Ospedale wurden berühmt durch die Waisenchöre von Vivaldi. Alle hatten Waisenchöre, um die Leute in Ihre Gottesdienste zu locken. Und es war eine Art des Crowd-Funding. Man hielt die Leute zu Spenden an, wenn die Musik gefiel. Deshalb gab es auch Wettbewerb zwischen den Ospedali. Entsprechend holte man sich die besten Musiker und Chorleiter für die Chöre und entwickelte regelrechte Musikschulen. Manche besonders begabte Sängerinnen wurden auch von Adeligen gesponsort. Vermutlich war es die beste Möglichkeit für (nichtadelige) Frauen, Karriere zu machen. Die Chöre waren Stars. Tatsächlich waren die Sängerinnen nahezu unsichtbar. Es gab eigene Konstruktionen, die die Sängerinnen vor den Zuschauern verbargen. Die Chöre waren also keine dilettantische Bespaßung der Ärmsten, um sie von Ihrem schweren Schicksal abzulenken, sondern eine hochprofessionelle Unterhaltungsindustrie.

Am berühmtesten ist das Ospedale della Pietà (die Chiesa della Pietà ist östlich vom Markusplatz direkt an der Lagune, das Ospedale, das heute noch zu caritativen Zwecken genutzt wird, z.B. als Frauenhaus, oder für die Betreuung von hilfsbedürftigen minderjährigen Schwangeren, liegt direkt daneben,). Und das liegt an Vivaldi. Maestro di Choro im Ospedale Pietà war damals Francesco Gasparini. Bonaventura Spada, Violinlehrer, ging in den Ruhestand und der 25-jährige Vivaldi, bereits zum Priester geweiht, übernahm. 1713 ging Gasparini nach Rom, mit der festen Absicht, zurück zu kommen. Das geschah aber nicht, also wurde Vivaldi (wegen seiner Haarfarbe der „prete rosso“ – roter Priester – genannt) der inoffizielle Leiter.

Im Jahr 1575 wurde mit dem Bau der Kirche Santa Maria dei Derelitti begonnen, an deren Gestaltung auch Andrea Palladio beteiligt war; im Inneren befinden sich unter den von Longhena geschaffenen Altären einige bemerkenswerte Gemälde aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert.

Die Ospedali waren autonom und unabhängig von der Kirche und der Kommune. Sie hatten eigene Regeln, eine eigene Verwaltung und private Geldgeber. Dennoch waren sie gottesfürchtig und hatten alle eine eigene Kirche.

Jetzt kommen wir zunehmend in den Teil von Castello, in den sich – auch während der Biennale – sehr wenige Touristen verirren. Das heißt allerdings, dass es auch weniger Cafès und Geschäfte gibt. Dafür kann man sich hier wie ein/e Italiener:in fühlen. Es lohnt sich, nicht nur dem beschriebenen Weg zu folgen, sondern, sich treiben zu lassen.

Spaziergang Castello (Teil 1)

Quelle: OpenStreetMap Mitwirkende und eigene Ergänzungen

Wir folgen der Strasse bis zum Campo della Barbaria o Santa Giustina. Wir gehen rechts und gleich wieder links in die kleine Strasse, die uns zur Ponte Fondamenta de Giustina führt. Diese überqueren wir.

Hier lohnt sich ein kleiner Umweg zur Kirche San Francesco de la Vigna. Dafür gehen wir links am Kanal entlang und dann gleich wieder rechts und sind am Campo San Francesco de la Vigna.

Die Kirche ist nach dem Weingarten auf dem Gelände benannt. Der Weinberg wurde 1253 vom Sohn des Dogen Pietro den Mönchen gestiftet. Darauf wurden 1300 eine gotische Kirche und ein kleines Franziskanerkloster errichtet. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurde es zu einem der größten Klöster der Stadt. Die heutige Kirche ist das Werk von Jacopo Sansovino, der 1534 mit den Arbeiten begann, und Andrea Palladio, der das Werk 1570 mit der Gestaltung der Fassade abschloss.

Im Inneren befinden sich Werke, unter anderem von Paolo Veronese und Giambattista Tiepolo und Tintoretto. In der Giustiniani-Kapelle, links vom Presbyterium, kann man zahlreiche Skulpturen von Pietro Lombardo und seiner Schule bewundern. In der Kapelle, die der Familie Giustiniani gewidmet ist, befinden sich außerdem die Grabmäler u.a. der Dogen Francesco und Alvise Contarini.

An der Rückseite des Gebäudes steht der Glockenturm, der einer der höchsten in Venedig ist.

Spaziergang Castello

Wir verlassen den Platz über den Ramo al Ponte San Francesco, gehen geradeaus weiter bis wir auf die Salizada Santa Giustina stossen. Dann geht es weiter, wie unten beschrieben (der Salizada San Francesco weiter folgen bis zum Rio dei Scudi e de Santa Ternita usw.).

Wer San Francesco de la Vigna nicht sehen möchte, geht rechts, quert den Campo di Santa Giustina und nimmt die hintere Brücke (Ponte del Fontego). Jetzt gehts im Zickzack weiter: zunächst die Salizada Santa Giustina links.

Wer Spaß an Legenden und Besonderem hat, macht einen kleinen Abstecher in die Calle Zorzi.

Am Ende, im Sotoportego de Corte Nova, befindet sich der Pietra della Peste (Peststein), der einzige rote Stein in Venedig, der den Sieg über die Pest symbolisiert und nicht betreten werden darf, da er Unglück bringen soll. Seine Geschichte geht auf das Jahr 1630 zurück, als die Pest fast 80.000 Venezianer tötete und das Gebiet von Corte Nova als einziger Teil Venedigs verschont blieb.

Der Überlieferung nach erschien einer Frau namens Giovanna eines Tages die Jungfrau Maria und bat sie, im Sotoportego ein Gemälde anfertigen zu lassen, auf dem die Jungfrau selbst zusammen mit dem Heiligen Rochus und dem Heiligen Sebastian zu sehen sei, um die Pest fernzuhalten. Hier sind nun also die beiden Altäre, die der Madonna gewidmet sind, vier fotografische Darstellungen von Gemälden aus dem 17. Jahrhundert, die das Ereignis zeigen (die Originale sind in der Kirche San Francesco della Vigna ausgestellt), und die Inschrift am Eingang des Sotoportego zu sehen.

Spaziergang Castello (Teil 2)

Quelle: OpenStreetMap Mitwirkende und eigene Ergänzungen

Wer den Umweg noch etwas vergrößern möchte, geht im Corte Nova rechts, über den Kanal, dann links, ein Stück den Kanal entlang, bei der nächsten Brücke wieder links und kommt so in der Calle dei Furlani zur Scuola Dalmata dei Santi Giorgio e Trifone.

Die Scuola sollte Bürger dalmatinischer Herkunft, die nach der Eroberung Dalmatiens durch die Venezianer im Jahr 1451 in Venedig lebten, zusammenzuführen. Die Scuola entging als eine der Wenigen der Beschlagnahmung der ihrer Kunstwerke durch Napolen. Im Inneren befindet sich daher noch heute einer der außergewöhnlichsten Gemäldezyklen der venezianischen Frührenaissance von Vittore Carpaccio, der die Geschichten von Giorgio, Trifone und Girolamo, den drei Schutzheiligen der Bruderschaft, darstellt.

Danach kann man zurück gehen, oder einfach die Calle dei Furlani weiter gehen und links-rechts trifft man auf die Calle Va al Ponte dei Scudi und biegt rechts ein zum Rio dei Scudi e de Santa Ternita. Weiter gehts dann, wie unten beschrieben.

Wer in der Salizada Santa Giustina bleibt, kommt etwas weiter am Palazzo Contarini della Porta di Ferro vorbei, der so genannt wird, weil das Haupttor in der Vergangenheit mit Eisennägeln verschlossen war (heute Hotel).

Dann gehts die Salizada San Francesco rechts und dann geradeaus bis zur Calle Sacca, im Bogen rechts die Saliza de le Gatte weiter und so kommt man zur Calle Va al Ponte dei Scudi und biegt links ein zum Rio dei Scudi e de Santa Ternita.

Wir überqueren die Brücke und gehen dann an der Calle Mandolin links und kommen zum Campo de Pozzi. Kommissar Brunetti-Fans kennen diesen Platz ggf. aus der Folge „Das goldene Ei“. Wir gehen gleich rechts in die Calle de le Muneghete und immer geradeaus, bis wir zum Rio de le Gome kommen. Schmale Straßen, kaum Geschäfte oder Cafès – hier wohnen die Venzianer. Wir gehen am Kanal rechts, folgen dem Kanal bis zur Brücke, überqueren diese und nach der Brücke gehen wir links und gehen weiter bis wir zur Ponte del Purgatorio kommen.

Woher kommt der Name der Brücke? Nach Dantes Tod widmenten die Venezianer aus Dankbarkeit für die Verse, die ihrem Arsenal gewidmet waren, drei Häuser und gaben ihnen die Namen der Kapitel der Göttlichen Komödie. Die Häuser der Hölle und des Fegefeuers existieren noch heute und können über private Brücken erreicht werden. Derzeit führt die Fegefeuerbrücke zum Institut für maritime Militärstudien.

Nach ein paar Schritten sind wir dann am Campo de L’Arsenal.

Der Eingang zum Arsenal, das „Landtor“ wurde als Antwort auf die osmanische Bedrohung nach dem Fall von Konstantinopel im Jahr 1453 gebaut. Nach dem Vorbild der römischen Triumphbögen ist es eines der frühesten Beispiele der Renaissance-Architektur in Venedig. Das Portal ist mit einer Loggia, allegorischen Statuen und vier Löwen geschmückt, darunter der Löwe von Piräus, der nach der Eroberung von Athen 1687 nach Venedig gebracht wurde.

Die Gebäude und Produktionsbereiche des Arsenal-Komplexes behielten ihre ursprüngliche Funktion bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs bei und wurden im Zuge der Entwicklung der Schiffbautechniken laufend angepasst.

Der gesamte umliegende Stadtraum entwickelte sich um diesen Ort herum, es entstanden Arbeiterviertel. Die Arbeiter wurden „arenalotti“ genannt. Die Strassenamen zeugen von den dort auch angesiedelten Werkstätten: Calle del Piombo (Blei), delle Ancore (Anker), della Pegola (Pech), delle Vele (Segel).

Das riesige Areal ist in „Arsenale Nord“ und „Arsenale Sud“ aufgeteilt. Ein Teil des Arsenalo Nord ist für die Öffentlichkeit zugänglich, Arsenale Sud nur während der Biennale.

Von der Kirche San Francesco de la Vigna kann man in ca. 15 Minuten zum Arsenale Nord laufen. Ein großer Teil des Weges führt außen an der Mauer des Arsenals, direkt am Meer mit schönem Ausblick lang. Im Arsenal kann man sich dann das große Becken ansehen. Zum Haupteingang des Arsenals sind es dann ca. 25 Min zu Fuß. Man kann aber auch mit dem Vaporetto ein Stück fahren. Für besonders Interessierte vermutlich lohnenswert.

   

Arsenal
Becken des Arsenals
Becken des Arsenals

Das Arsenal ist einer der zwei Hauptorte der Biennale (die nächste ist 2024). Ähnlich wie die Giardini sorgt das Arsenal für eine unvergleichliche Kulisse und sorgt für unvergessliche (Kunst-)Erlebnisse.

Biennale 2022
Biennale 2022

Wir überqueren die Ponte del Paradiso und und gehen rechts am Kanal entlang, die Nächste links, weiter am Arsenal entlang und überqueren nach einer Biegung den Kanal. Links geht es am ruhigen, aber etwas eintönigen Kanal entlang, geradeaus kommt man zur trubeligeren Via Guiseppe Garibaldi. Dort locken Cafès und ein kleiner Park.

Rio S. Ana beim Campiello Correra

Wer am Kanal bleibt, geht zur Calle Friziera und biegt dann rechts auf die Via Garibaldi ab, die anderen gehen an der Via Garibaldi links. Am Ende der Strasse gehen wir rechts die Fondamenta S. Ana weiter, bis zur übernächsten Brücke, dann links über die Brücke in die Calle Crosera. Hier sind wir mitten in einem Wohngebiet.

Spaziergang Castello, Teil 3

Quelle: OpenStreetMap Mitwirkende und eigene Ergänzungen

In den Nebenstrassen der Via Garibaldi und insbesondere des Rio de S.Ana ist es ruhig. Wäsche hängt über der Strasse. Hier spielt sich das tägliche Leben der Venezianer ab.

Wir gehen weiter geradeaus, bis wir zur Calle Larga de Castelo kommen, dort biegen wir rechts ab und gelangen über die Brücke auf die Insel San Pietro de Castello. Direkt gegenüber steht die gleichnamige Kirche und wir sind am Ziel unseres Spaziergangs. Es lohnt sich, die Strassen der kleinen Insel zu erkunden. Auf der anderen Inselseite gibt es einen Traghetto-Halt.

Insel San Pietro di Castelo
Campo San Pietro